Für viele Politiker und Wirtschaftsweisen stellt die Digitalisierung die Rettung des Klimas und der Umwelt dar. Die Digitalisierung ist immateriell sowie ressourcenschonend. Und dennoch kann das Wirtschaftsmodell des Kapitalismus in der heutigen Form weiter betrieben werden. Immer höher, immer weiter, immer reicher. Und die Digitalisierung löst das Porblem des Klimawandels nebenbei. Durch sie wird endlich der Ressourcenverbrauch vom Wirtschaftswachstum entkoppelt. Wo kein Papier verbraucht wird, ist auch keine Umweltverschmutzung! Die Digitalisierung ist der Rettungsring für Umwelt und Klima! Oder?
Welchen Einfluss hat die Digitalisierung auf das Klima?
Sicherlich denken nicht nur viele Politiker und Wirtschaftsvertreter wie oben beschrieben. Auch viele Nutzer und Softwareverantwortliche sind sich der Auswirkungen des Internets und der anhängigen Infrastruktur sowie Geräte nicht bewusst. Um die Frage zu klären, ob die Digitalisierung die Rettung des Klimas ist oder sein kann, muss man sich mit der Internet-Infrastruktur und deren Energieverbrauch beschäftigen. Da dieser maßgeblich von den ausgetauschten Daten über das Netz abhängt, werde ich zusätzlich die Entwicklung des Datenvolumens und die damit verbundenen Konsequenzen betrachten.
Allein 33 Mio. Tonnen CO2-Emissionen pro Jahr entstehen in Deutschland durch den Betrieb des Internets und der Peripherie (Smartphones, Tablets, Laptops,…) – so viel wie durch den innerdeutschen Flugbetrieb.[1] Weltweit verbraucht das Internet mit allen angeschlossenen Geräten bereits etwa 800 Mio. Tonnen CO2.[2]
Die gesamte Netzinfrastruktur zusammengerechnet verbraucht allein in Deutschland im Jahr etwa 55 Terawattstunden – umgerechnet etwa 10 mittlere Kraftwerke, die allein für die digitale Welt Strom erzeugen.
Die Ökobilanz eines Mausklicks – SWR, Dietmar Klumpp (2018)
Nur den Betrieb der Infrastruktur und der internetfähigen Geräte zu betrachten, greift allerdings zu kurz! Der gesamte Lebenszyklus der Produkte und damit alle über den gesamten Lebensweg aufgewendeten Rohstoffe müssen betrachtet werden (der sog. ökologische Rucksack). Für einen Laptop bedeutet diese Betrachtung, dass nur 8% der CO2-Emissionen während der Nutzungszeit entstehen. Mehr als 50% der Emissionen dagegen durch den Rohstoffabbau und die Produktion.[3]
Wie entwickelt sich der Energiebedarf in Zukunft?
Infrastruktur und Datenverkehr
Der Energiebedarf des Internets ist, neben dem Betrieb der benötigten Infrastruktur und der Geräte, abhängig von der Menge der übermittelten Daten. Das eine korreliert dabei mit dem anderen: werden mehr Daten gespeichert, abgerufen und übermittelt, wird eine größere, leistungsfähigere Infrastruktur benötigt.
Um den Energieverbrauch im Betrieb für die Zukunft vorherzusagen, muss man die Entwicklung der ausgetauschten Datenmenge untersuchen und den Energieverbrauch je Dateneinheit ermitteln. Der Energieverbrauch liegt bei etwa 0,06 kWh pro GB.[4] Das ausgetauschte Datenvolumen betrug im Jahr 2018 33 Zettabyte (ZB) also 33 Billionen GB. Somit lag der Energieverbrauch für den Datenaustausch bei rund 2 Terrawattstunden. Bis 2025 prognostiziert das IDC einen Anstieg um mehr als das Fünffache auf 175 ZB, was einem Energieverbrauch von 10,5 TWh nur für den Datentransfer entspricht.[5]
Hinzukommt, wie beschrieben, der Betrieb der Infrastruktur. Das Borderstep Institut prognostiziert, dass der Energiebedarf des Internets mit allen angeschlossenen Geräten von 2015 bis 2025 weltweit um 18% auf 1.048 TWh ansteigen wird. Hauptsächlich wird das wachsende Feld des Cloud Computing für diesen Anstieg verantwortlich sein.[6]
Künstliche Intelligenz
Neben dem wachsenden Datenverkehr in der Zukunft wird der Einsatz künstlicher Intelligenz (KI) immer wichtiger werden. Auf der KI liegen ebenso hohe Erwartungen im Bereich Umwelt- und Klimaschutz wie auf der Digitalisierung insgesamt. Besonders im Bereich der Vernetzung im Energiesektor und im Verkehr ruhen auf den erwarteten Effizienzsteigerungen durch den Einsatz von KI hohe Erwartungen. Doch auch in anderen Bereichen, in denen es gesellschaftlich weniger sinnvoll bzw. nötig ist, wird KI eingesetzt werden.
In welchem Maße KI wo und wie eingesetzt werden wird, entscheidet über einen positiven Effekt auf das Klima. Denn das Trainieren eines leistungsfähigen neuronalen Netzes verbraucht 0,65 Tonnen CO2 – so viel wie ein Hin- und Rückflug von Berlin nach Madrid.[7]
Derzeit deuten alle Zahlen und Prognosen darauf hin, dass durch die Digitalisierung mehr CO2 ausgestoßen werden wird als durch sie eingespart wird. Ein klassischer Fall des Rebound-Effekts (Effizienzsteigerungen werden durch höhere Produktion/Nutzung überkompensiert).
Wie wird die Digitalisierung zum Rettungsring des Klimas?
Damit die Digitalisierung zum Rettungsring des Klimas wird, sind tiefgreifende Änderungen nötig. In Bezug auf den Betrieb der Infrastruktur und internetfähiger Geräte muss es das Ziel sein, die Nutzungszeit zu verlängern. Dies ist der einfachste und effizienteste Hebel. Eine längere Nutzungszeit führt zu weniger Konsum internetfähiger Geräte und somit zu einer geringeren Produktion und weniger CO2-Emissionen für die Herstellung der Produkte. Und eine längere Nutzungszeit ist durchaus möglich. Denn Hardware wird viel zu früh ausgemustert, obwohl sie noch voll funktionsfähig ist. Einer der häufigsten Gründe für die Ausmusterung von Hardware ist, dass Sie nicht mehr dem aktuellen Standard entspricht.
Wir Softwareentwickler und -architekten haben an diesem Prozess einen großen Anteil. Durch die Verwendung aktueller Entwicklungstechnologien fallen alte Geräte als Plattform für unsere Software schnell weg. Durch eine langfristige Aktualisierung und Weiterentwicklung unserer Software, um sie auf älteren Geräten lauffähig zu halten, könnten wir viel zu einer längeren Nutzungszeit von Hardware beitragen. Darauf werde ich in einem späteren Artikel zur Obsoleszenz durch Software detaillierter eingehen.
Die Politik könnte dies unterstützen, in dem sie gesetzliche Vorgaben schafft, die die Hersteller dazu verpflichten für ihre Produkte über einen Zeitraum von mindestens 5 Jahren, besser mehr, Ersatzteile vorzuhalten und kostengünstige Reparaturen anzubieten.
Weiter ist ein geringerer Anstieg der ausgetauschten Daten erstrebenswert. Dies führt zur Notwendigkeit von Datensparsamkeit der Anwendungen und Betriebssysteme. Das Internet der Dinge wird darin eine entscheidende Rolle spielen. Ist es wirklich notwendig die Daten smarter Produkte über das Internet zu transferieren? Eine lokale Speicherung der Daten zum Beispiel bei Smart Home Geräten reicht vollkommen aus. Der Nutzen der erfassten Daten soll den Bewohnern dienen, nicht den anhängenden Unternehmen und Dienstleistern. Die Übermittlung solch sensibler Daten per Internet ist besonders datenschutzrechtlich mehr als bedenklich.
Gesamtgesellschaftlich muss erreicht werden, dass die Digitalisierung kein Selbstzweck ist. Sie sollte in eine Richtung gelenkt werden, die sinnvoll für Gesellschaft und Umwelt ist. Viel zu viele Produkte und Dienstleistungen rund um die Digitalisierung sind grundsätzlich überflüssig. Ein Beispiel dafür sind aktuelle Kinderwagenmodelle mit eingebauten Sensoren und einer eigens entwickelten App, die unter anderem anzeigt, ob das Kind gerade schläft oder nicht. Wie wäre es in dem Fall mit einem analogen Blick in den Kinderwagen?
Hier sind, neben der Politik, wir Softwareentwickler und -architekten gefragt. Ist das aktuell von uns entwickelte Produkt sinnvoll? Bringt es die Gesellschaft wirklich weiter oder ist es nur technisch mögliche Spielerei?
Für tiefere Einblicke in das Thema ökologische Digitalisierung kann ich das Buch zur Konferenz Bits & Bäume (das als kostenloses PDF erhältlich ist) sowie das Buch Smarte grüne Welt? empfehlen.
Ich freue mich auf eure Meinungen und Kommentare!
Toll, danke für die Inspirationen. Freue mich über weitere Artikel auf diesem Blog!
Danke für deinen Kommentar! Schön, dass dir mein Blog bisher gefällt.
Es wird auf jeden Fall weitere Beiträge geben. Den nächsten Artikel habe ich für Mitte September geplant.
Ich freue mich auf ein Wiedersehen.